Welter besteig versus Tourist Iker

welter besteig versus Tourist Iker

Vorwort zu „Welter besteig. Ein literarischer Wanderbegleiter“

Und zu Beginn hat es genervt. Da arbeitet man ein Jahr lang und mehr an der Umsetzung eines Weitwanderwegs von internationalem Format, einem absoluten Vorzeigeprojekt in Sachen Wandertourismus, und dann steht man Menschen gegenüber, die nichts Besseres zu tun haben, als sich darüber Gedanken zu machen, ob denn der Titel „Welterbesteig“ gut gewählt sei weil doch – zumindest ihrer Ansicht nach – so schlecht lesbar. Dass dieses, wie ich meine, absichtliche dumm stellen bei einigen Bildungsbürgern zu beobachten war, die sich ein Hobby daraus machen, alles, was mit Marketing oder Tourismus zu tun hat, mit kritischen Anmerkungen oder „Verballhornungen“ wie dieser in Frage zu stellen, hat mich ja nicht weiter überrascht, bin ich ja selbst ein solcher Bildungsbürger, der sich auch schon das eine oder andere Mal vorsätzlich „dumm gestellt“ hat, um für ein paar kostbare Augenblicke das Gefühl zu haben, dass ich auf Grund meiner Bildung dem allein auf wirtschaftlichen Gewinn fokussierten Denken anderer überlegen bin (tunlichst dabei ignorierend, dass meine mehr oder weniger wortgewandt vorgetragene Kritik meistens von völliger Belanglosigkeit ist). Aber dass sich auch manch eingefleischter Touristiker nicht zu blöd war, des Witzes wegen akute Leseschwäche vorzutäuschen, ärgerte, denn Touristiker, so meinte ich, müssten doch die Qualität dieses Produkts – inklusive seines auf das Welterbe verweisenden Namen – zu schätzen wissen, denn wo, fragte ich diese Touristiker dann zugegebener Maßen etwas ungeduldig, habe man sonst einen Weitwanderweg, der alle wichtigen Sehenswürdigkeiten eines UNESCO Weltkulturerbes „fußläufig“ verbindet.

„Also ich habe da Welter besteig gelesen.“ Als könne jemand, der sich die Mühe macht über die Betitelung eines Weitwanderweges zu sinnieren, diese drei zu einem Wort zusammengezogenen Begriffe nicht Sinn zusammenfassend lesen.

So sehr es genervt hat, so wenig hat es mich irritiert. Ich wusste, dass dieses Produkt gut war. Gut ist. Gut sein wird, solange es die Träger dieses Produkts zu schätzen wissen, dass sie von nun an nicht nur für eine Nacht von durchradelnden Gästen heimgesucht werden sondern auch von meist mehrere Tage verweilenden oder zumindest für die eine oder andere Wanderung immer wieder kehrenden Wanderern.

Wandern und Wachau. Das war bis 2010 kein wirkliches Thema. Ja, gewiss, es gab ein paar Wege, die einigen Insidern bekannt war. Allen voran der Vogelbergsteig bei Dürnstein. Auch hat es im Spitzer Graben und am Jauerling in den letzten Jahren ambitionierte Wanderprojekte gegeben, die zu einer deutlichen Steigerung des Wandertourismus geführt haben. Aber Wandern war trotzdem kein zu kommunizierendes touristisches Produkt. Die Wachau, so sagten speziell für die Wachau engagierte Markenbüros, sei eine Genussregion, und unter Genießen begriffen die Touristiker primär das Trinken von Wein und das Verspeisen von ausgezeichneten Gerichten in von Gourmetkritikern ausgezeichneten Lokalen. Landschaftsgenuss war nur als Blick von der Terrasse oder Gastgarten der jeweiligen Gastronomie relevant und maximal als Verdauungsspaziergang von rund 30 Minuten auf mit normalem Schuhwerk leicht bewältigbaren Wegstücken. So kam Wandern auch in dem ansonsten durchaus schlüssigen und für mich in meiner Arbeit sehr hilfreichen touristischen Grundkonzept der kulturtouristischen Initiative Wachau 2010plus, in dessen Rahmen der Welterbesteig dann umgesetzt wurde, zu Beginn gar nicht vor. Touristiker, schien es, finden Wandern öde. Touristiker meinten, Wandern wäre ein Randthema. „Nett“ und für eine kleine Minderheit sicher ganz wichtig, aber die wahren touristischen Themen seien – vor allem in der Wachau – doch andere.

Und da standen wir, mein Kollege Ronald Würflinger, der den Welterbesteig letztlich umgesetzt hat, und ich, der für das gesamte Projekt Wachau 2010plus verantwortlich ist, und wir wussten, diese Touristiker haben einfach nicht recht.

Touristiker.

Tja, wie ich schon sagte, als Bildungsbürger fällt es mir nicht schwer, mich bei manchen Reizwörtern selbst „dumm zu stellen“, und gerade wenn mich touristische Grundsatzansprachen über „Marken“ und „Genuss“ ermüden, erliege ich ab und an der Verführung, selbst Begriffe zu zerlegen, um sie dann nach Belieben wieder zusammenzusetzen. Und das tat ich dann auch, und mit einem Mal entstand vor meinem geistigen Auge und Ohr jener Tourist Iker, jener vermeintlich erste Tourismusberater, dem all die anderen Tourismusberater gefolgt sind.

Tourist Iker war sicher ureigentlich ein Kind der Monarchie. Ein Hofrat von und zu, Nachkommen eines alten, eigentlich aus dem Spanischen und hier aus dem baskischen Teil stammenden Adels, der zuerst in seiner Funktion als K. und K. Hofbeauftragter für Sanitäreinrichtungen in Sommerfrischedomizilen die Hotellerie am Semmering und bald darauf im Salzkammergut heimgesucht hat, später dann die dalmatinische Küste bereiste, und dort Pionierarbeit für den Jugoslawienurlaub vieler österreichischer Familien im 20. Jahrhundert leistete. Sich inflationär des Konjunktivs bedienend und mit nasalem Tonfall führte er der damaligen K. und K. Tourismusbranche vor Augen, was sie denn alles tun müsste, um ihre Qualität verbessern zu können, da sie sonst schließlich – zumindest wahrscheinlich – nicht mit den anderen Mitbewerbern mithalten könnte.

Legende wurde dieser von und zu Iker auf Grund seiner peinlich genauen Analysen und manches Mal radikal anmutenden Forderungen weit über die Grenzen hinaus, und während in Deutschland zum Beispiel sein nasaler Tonfall – zumindest branchenintern – gerne nachgeäfft wird, wenn man zum Beispiel die Hygienesituation eines Nassbereichs oder die Servicequalität eines Hotelbetriebes kritisiert, wurde in Österreich aus diesem K. und K. Besserwisser und Pedanten, ein preußischer Militarist, ebenfalls von und zu aber nicht Hofrat sondern Major, Freund wahrscheinlich jenes legendären Kapellmeisters Piefke, ohne nasalem Tonfall und im Gegensatz zu jenem – selbst nur in meiner Fiktion entstandenen Original – völlig auf Konjunktive verzichtend. Major Iker weiß und definiert und sagt, wo es lang geht, was zu tun ist, damit man die ebenfalls von ihm klar definierten touristischen Ziele erreicht.

„Unsere Eltern gingen noch wandern, aber heute erzielt man mit Wandern keine Wertschöpfung mehr.“ Während ich diese und andere Sätze vernahm, mit denen man mir und meinem Kollegen beizubringen versuchte, dass das Wanderthema kein touristisches wäre, zumindest nicht für die Wachau, zumindest nicht abseits der bekannten touristischen Wanderregionen, entwickelte sich die Fiktion vom Tourist Iker zu einer sehr realen Person, und ich stellte mir vor, wie es wohl wäre, wenn dieser, und ich bediente mich des – meiner eigenen Phantasie nach – nicht korrektem aber mir Ostösterreicher nahe liegenderem Klischee des preußischen Majors, wenn dieser heute in die Wachau kommen würde, um mich und all meine Partner in ihrer touristischen Tätigkeit für die Wachau zu beraten.

„Wandern! Was wollen sie mit Wandern!“, würde er möglicherweise ausrufen, und so wie manche seiner ihm nachfolgenden Jünger dieses Wanderprojekt Welterbesteig vielleicht als ganz nett und auch als ambitioniert bezeichnen, aber im Grunde braucht diese Wachau, würde er wohl behaupten, ganz etwas anderes. „Leuchttürme“, so würde Tourist Iker laut rufen, „Leuchttürme“ braucht die Region. „Dürnstein und Melk und der Wein und die Marille“, Tourist Iker bedient sich bewusst der lokalen Bezeichnung, wenngleich auch mit Problemen die korrekte Aussprache betreffend, um zu signalisieren, sich vorbereitet und mit dieser Region auseinandergesetzt zu haben:“ das ist ja alles in Ordnung. Das kann man sich anschauen. Aber wir wollen doch hier touristisch was weiterbringen, und da muss das alles hier heutiger werden. Der Gast, verstehen sie, der will das nicht nur sehen, der Gast, verstehen sie, der will das erleben!“ „Erleben!“ schreit er nun fast schon, und dann beginnt er einem auszumalen, was er so unter diesem „Erleben“ versteht.

Stift Melk zum Beispiel, das sei doch „Der Name der Rose!“ Er macht eine Pause, offensichtlich nicht damit rechnend, dass anderen, nicht ohne extra die Suchmaschine Google zu bemühen, bei „Der Name der Rose“ der von ihm in den Raum gestellte Bezug klar ist. Und so setzt er auch fort, belehrend und zugleich seine umfassende Recherche zur Schau stellend, dass es da ja unmittelbare Bezüge gibt, und an die muss man im Stift Melk unbedingt anknüpfen. „Wenn sich schon so ein Welterfolg, so ein Bestseller inklusive Verfilmung mit diesem Stift beschäftigt, dann muss man die Blausäure“, so Tourist Iker wörtlich, „beim Betreten dieses Stiftes schmecken können!“ Wie auch immer das Tourist Iker meint. „Es muss einem der Mief dieser alten, geheimnisvollen Bücher förmlich in die Nase steigen. Man muss das Gefühl bekommen“, und nun beginnt er zu flüstern, „dass man irgendwo in diesem Gemäuer, doch noch auf das Buch über das Lachen stoßen kann, dieses verbotene Buch.“ Und wieder laut werdend und offenbar die Schauplätze von „Der Name der Rose“ endgültig durcheinander bringend: „Und Scheiterhaufen müssen auch wieder brennen!“ Ein Glänzen in seinen Augen könnte sanfte Gemüter erschrecken. „Da müssen Hexen verbrennen und Ketzer – Melk war doch auch protestantisch! Das muss man sehen. Sinnbildlich! Die ganze brutale Macht und Gewalt der Gegenreformation muss spürbar gemacht werden. Momentan ist das nur dieser Benedikt. Höre! Höre! Höre!“ Tourist Iker schüttelt den Kopf. „Ohne das Teuflische, ohne das Schreckliche, und davon habt ihr da sicher genug in Melk, ohne dem funktioniert das nicht – touristisch betrachtet. Ohne dem ist Melk, und ich muss das so sagen, nur irgend so ein großes, barockes Stift. Aber wenn man genau hinschaut, da kann man viel mehr Story rausholen – den Benedikt können sie auch in anderen Klöstern behandeln!“

„Mhm“, höre ich mich betreten grunzen, was Tourist Iker offenbar als Zustimmung interpretiert. Denn nun beginnt er sich auch über das Stift Göttweig Gedanken zu machen, „das hässliche Entlein“, wie er glaubt, es scherzhaft bezeichnen zu müssen. „Ich meine, das ist ja ganz nett, also woanders wären sie ja froh, wenn sie so eine Sehenswürdigkeit auf irgendeinem Hügel stehen hätten. Aber so nahe bei Melk! Da reicht auch nicht diese Stiege. Aber dafür ist Göttweig wiederum so ein richtiges Kloster. Also, wo hat man schon in Mitteleuropa so ein richtiges Kloster? Also diese Mönche, wenn sie da beten: in der Früh und zu Mittag und auch am Abend, das ist doch ein Erlebnis.“ Ich frage mich in der kurzen Pause, die Tourist Iker wieder setzt, um NLP oder anders geschult Spannung in seinem Vortrag aufzubauen, gar nicht, ob Tourist Iker ein gläubiger Mensch ist – Glaube ist sicherlich keine Kategorie in Tourist Ikers Überlegungen. „Aus Göttweig muss man ein barockes Athos machen. Eine spirituelle Erlebniswelt – und im innersten Kern nur für Männer. Total elitär. Eine Welt von gestern – aber mit totalen Bezügen zu heute. Da oben muss von früh bist spät Hosianna gesungen, Rosenkranz gebetet und Weihrauch verbrannt werden. Da musst du richtig eintauchen können in eine Welt voller Mystik.“

„Mhm“, höre ich mich grunzen, und wundere mich, dass Tourist Iker bei soviel Begeisterung über die eigenen Ideen noch keinen Schaum vor dem Mund hat.

„Und Dürnstein“, holt der Experte aus. „Dürnstein! Was man da alles machen kann aus diesem Dürnstein. Das ist eine Perle. Ein riesiger Schatz. Da muss man nur die Leute aussiedeln. Ich meine, die leben doch jetzt schon in einem Museum, und wer lebt denn schon gerne in einem Museum, noch dazu wenn man selber für die Erhaltung dieses Museums aufkommen muss. Nein, die Leute sollen weg, für die findet man sicher ein paar nette, leer stehende Häuser in Loiben oder in Rossatz auf der anderen Seite, und ganz Dürnstein wird in eine riesige, exklusive Ferienanlage verwandelt. 5.000 Betten müssten sich da schon irgendwie ausgehen. Und im Erdgeschoss kleine Geschäfte, romantische Lokale. Ja,“ meint Tourist Iker: „Ich weiß, das ist radikal.“ Ich bin fast überrascht, dass Tourist Iker das tatsächlich eingesteht. „Aber so, ich bin mir sicher nur! so, und das muss man sich auch mal bewusst sein und auch eingestehen, kann man über den Tourismus dieses ganze einzigartige Ensemble längerfristig erhalten!“

„Mhm“, höre ich mich grunzen, und ich frage mich, wie lange Tourist Iker sprechen kann, ohne die Richtigkeit seiner Phantastereien zu überprüfen.

„Und diese Venus!“ Er prüft noch nicht, sondern ereifert sich weiter. „Diese Venus, aus der muss man doch auch etwas machen. Das ist ja ein Weltstar! Und gerade bei dieser Venus dürfen wir nicht vergessen: jede Frau hat ein Geheimnis.“ Diese Pause war zu befürchten – und tritt ein. Tourist Iker lehnt sich zurück, denn er muss nun offenbar etwas weiter ausholen. „Es weiß doch keiner, woher diese Frau eigentlich kommt. Wer ist sie? Was stellt sie dar? Aus welchen Gründen haben die Menschen jener Zeit sie aus dem Stein geschnitzt?“ Fragender Blick. Achselzucken meinerseits – ohne gegrunztes „mhm“, das mir hier unpassend erscheint. „Wir wissen es nicht. Wir mutmaßen nur. Und genau da setzen wir an. CSI Willendorf – verstehen sie.“ Ich bin mir nicht sicher, ob ich das verstehen will. Ich stelle mich dumm, und jetzt grunze ich ein „mhm“ mit deutlich fragendem Duktus. „Wir begeben uns hier auf die Suche nach der wahren Venus. Eine Erlebniswelt in den Hängen des Jaulering, eine Spurensuche durch Wald und Urgesteinsböden. Und man kommt nur mit dem Zug in diese Welt, mit der Bahn, verstehen sie, mit der Bahn, der wir diesen göttlichen Fund überhaupt erst verdanken!“

„Mhm“, und ich ahne, dass Tourist Iker noch nicht am Ende ist mit seinen Ausführungen. Und schon beugt er sich wieder nach vorne, denn nun, so meint er, komme er überhaupt zum geilsten Projekt, das in der Wachau unbedingt umgesetzt werden muss.

„Eine Seilbahn von Willendorf über die Donau hinauf in den Rosengarten der Burgruine Aggstein.“

Die Pause, die er nun macht, nutze ich, um mich zu fragen, ob er irgendwie von jenen von uns wirklich nur im Scherz formulierten Plänen erfahren hat, das leidige Fährenproblem zwischen Aggsbach und Aggsbach mit einer solchen Seilbahn zu lösen.

„Na, das muss man doch machen! Autofrei, umweltbewusst, und dann noch eine unglaubliche Attraktion. Eine Seilbahn von der Venusfundstelle zur Kuenringerburg – das Nord- mit dem Südufer verbindend, die Steinzeit mit dem Mittelalter. Und auf dieser Burg: eine Kuenringer Erlebniswelt, mit Fechtturnieren alle zwei Stunden, Ritteressen, Folterkammer zum Probefoltern“, er lacht, ich schmunzle der Höflichkeit halber. „Da muss es rasseln und prasseln vor lauter Eisen und Feuer.“

Ich sehe die erwartungsvollen Blicke meines Gegenübers und weiß, nun irgendetwas sagen zu müssen, mehr als „mhm“, irgendetwas wie „interessant“ oder „da sind schon sehr spannende Ansätze darunter“.

„Und das Projekt Welterbesteig?“, frage ich.

Tourist Iker lacht auf. „Vergesse sie das! Welter besteig! Allein schon der Name – das versteht doch keiner.“

Auch einer von denen! Es reicht.

„Wissen sie“, nun bin ich es, der sich zurücklehnt, und ich bemerke, dass ich angenehm ruhig bin. Ich rede nicht laut, ganz normal und stelle fest: „Der Welterbesteig verbindet all das, von dem sie meinen, dass es eine Rundumerneuerung bräuchte. Ein Facelifting, damit man ihm das Alter nicht ansieht, die Geschichte, die Patina. Heutiger wollen sie alles, doch sie vergessen dabei, dass nach Fertigstellung des aus heutiger Sicht Heutigen, das Heutige dann meist selbst wieder Gestrig ist, und dass dann dafür das Jetzige vielleicht für immer verloren ist. Sensibilität, denke ich, wäre hier angebracht.“

Auch ich kann Pausen machen. Tourist Iker nutzt sie zum Schlucken.

„Und Respekt.“

Tourist Iker fehlt nun die Spucke zum neuerlichen Schlucken und man sieht förmlich an seinem unangenehm berührten Gesichtsausdruck, wie die trockene Haut seines Gaumens in die Kehle gesaugt wird.

„Hier sind alle Partner in der Region, jeder hat seine Schwächen, jeder hat aber auch seine Stärken. Gemeinsam sind sie Teil des Weltkulturerbes, wobei es hoffentlich nicht dieses Titels bedarf, um das Bewusstsein dafür zu wecken, dass die Menschen hier die Erben einer Welt sind, die sie selbst wieder weitervererben. Und alle verbindet ein Weg, der Welterbesteig, der sie und ihre Gäste in einer Geschwindigkeit durch diese Landschaft führt, die dieser Landschaft gerecht wird – die wahrscheinlich jeder Landschaft gerecht wird. Es ist ein besonderer Weg, der einen heraus nimmt aus dem Alltag, der einen entschleunigt und wahr nehmen lässt, schätzen lässt und bewusst macht: die Besonderheit einer Kultur- und Naturlandschaft. Alles“, und jetzt setze ich eine weitere Pause, genüsslich, nicht ohne zu lächeln – vielleicht sogar ein klein wenig überlegen, vielleicht sogar – zugegebener Maßen – ein klein wenig überheblich: „Alles“, wiederhole ich mich: „alles was wir hier im Rahmen von Wachau 2010plus tun, ordnen wir im Grunde diesem Weg, der für unseren grundsätzlichen kulturtouristischen Zugang steht, unter. Wenn wir ein Verkehrskonzept machen, so machen wir es, um den Menschen zu ermöglichen, autofrei und „fußläufig“ diese wunderbare Landschaft entdecken zu können. Wenn wir ein Leitsystem aufstellen, so tun wir dies immer in Hinblick darauf, die Menschen dazu zu verführen, inne zu halten, auszusteigen und zu Fuß weiterzureisen. Und selbst, wenn wir die touristischen Ziele neu positionieren, weil sie wirklich zu alt oder tatsächlich gestalterisch oder inhaltlich überholt sind, oder wenn wir vielleicht sogar das eine oder andere Ziel neu schaffen, nichts ist dahinaus konzipiert, dass es gruppentauglich und damit schnell konsumierbar ist. Alle Ziele sind gleichzeitig Ausgangspunkte für weitere Entdeckungen, sind Aufforderungen weiter zu gehen, Etappe für Etappe am Welterbesteig.“

„Aber sie können doch nicht auf die Gruppen verzichten?!“

Tourist Iker meint mich eines Fehlers in meinem Konzept überführt zu haben, doch er provoziert mich nur dazu, meine Überheblichkeit in eine belehrende Präpotenz zu steigern: „Gruppen sind für mich kein Thema. Gruppen sind für die Wachau kein Thema. Die Wachau hat für Gruppen ein Thema zu sein. Die Gruppenveranstalter haben sich zu überlegen, wie sie es anzulegen haben, diese Wachau – die sie bereisen müssen, weil so berühmt und so schön – zu bereisen, ohne dass ihre zahlenden Gäste das Gefühl haben, in der Wachau im Bus sitzend einen Halbtag durchgeschleust werdend etwas Wesentliches zu versäumen. Und die Gruppenreisenden sollen sich in der Wachau nur die Frage stellen, ob sie nicht ihre sie durch- und an vielen schönen Stationen vorbeischleusende Gruppe verlassen sollten, aussteigen sollten und einsteigen sollten, einsteigen sollten in den Welterbesteig, um individuell und ungeführt diese wunderbare Region – und vielleicht sogar darüber hinaus das eine oder andere – zu entdecken.“

Tourist Iker versteht kein Wort. Es ist gegen die Lehre, so scheint es, gegen welche auch immer. Hilflos sitzt er da, wie ein leistungsmäßig überforderter Rechner und denkt und ringt mit sich und einigen, sich in seinem Kopf offensichtlich durcheinander bewegenden, vorerst keinen Sinn ergebenden Wörtern. Ich kann ihm nicht helfen. Ich spüre nur, was wir mit dem Welterbesteig tun, das ist auf jeden Fall gegen eine innere Leere, die alles auszuhöhlen droht. Ich hoffe zumindest, dass es so ist, während der Kopf von Tourist Iker aus den Ohren zu rauchen beginnt. Ich hoffe, dass man Tourismus auf Werten aufbauen kann und nicht bloß auf Zahlen. Dass man Tourismuskonzepte auf der Wertschätzung und Einbindung der Menschen in der Region, ihren Produkten und Wirken aufsetzen kann, und nicht auf ihrem bloßen Verkauf, auf ihren Missbrauch als Kulisse, als Lieferanten von in Klischees verpackter Geschichten, und als bloße Dienstleister in einer Inszenierung, die nichts mit ihnen zu tun hat.

Und als Tourist Iker mit leisem Blobben die Augäpfel aus den Augenhöhlen springen, wende ich mich ab – „Splatter Horror“ finde ich mittlerweile selbst in Klassikern des Genres nur mehr mäßig unterhaltsam – und mich beschleicht das Gefühl, unabhängige Tester einladen zu müssen. Menschen, die in ihrer Arbeit überprüfen, ob dieser Welterbesteig tatsächlich diesen, unseren Ansprüchen genügt. Ob hier wirklich eine Wertschöpfung abseits des touristischen Mainstreams möglich ist, eine Begegnung mit einer Region, die nichts mit von Marketingabteilungen vermarkteten Scheinwelten zu tun hat sondern die getragen ist von einer gelebten Gastlichkeit.

Einen dumpfen Knall hinter mir vernehmend, auf den das unappetitlich tönende, schmatzende Aufprallen von Körperteilen folgt, frage ich einen dieser vielen wichtigen Partner für die Wachau, das Unabhängige Literaturhaus Niederösterreich, ob man nicht 14 Autoren auf die Reise durch die Wachau schicken könnte, um auf den 14 Etappen des Welterebsteigs diesem neuen touristischen Produkt künstlerisch kritisch auf den Zahn zu fühlen.

 

Irgendwie so entstand die Idee zu diesem Buch.

Irgendwie das wollen wir mit dieser Anthologie in Erfahrung bringen.

 

PS.: Und außerdem braucht eine Weltkulturerbe Landschaft wie die Wachau neue künstlerische Arbeiten, mit denen sie abseits von Heimatfilmidyll und Postkartenansichten in Verbindung gebracht wird. Texte, die man aufgrund ihrer Qualität und Originalität einfach kennen sollte – denn kein noch so schön gestalteter Imagefolder, kein noch so schönes Werbefilmchen wirbt besser für eine Region wie die gelungene Arbeit eines oder mehrer Künstler. Zumindest als Tourist Iker, würde ich das jeder Region raten: „Laden sie Künstler ein, weil nur mit Künstlern…“